Den Ku’ Damm ‘rauf und runter’

Im Oldtimertaxi durch die Berliner Nacht und den Ku’ Damm ‘rauf und runter’.

Der Reinickendorfer Ralf Werner ist 77, sein Gefährt 50 Jahre alt. Beide sind absoluter Kult. Der Chauffeur trägt ein rotes Indienhemd und auf dem Kopf Irokesen-Schnitt. Der Wagen heißt Nepomuk und ist ein heckflossiger Mercedes-Benz 190 Dc der Baureihe 110, Baujahr 1964. Dieselmotor. Farbe Hellelfenbein. 55 PS, 140 km/h Spitze nach Tacho.

Am späten Sonntagabend führt er am Droschkenstand in Schöneberg die wartende Fahrzeugsreihe aus modernen B- und E-Klassen an. Sein schwarz-gelbes Taxischild auf dem Dach ist kleiner und leuchtet schwächer.

Zeitreise! Irgendwo stelle ich mein Auto ab und eile zu den Taxen. Ich greife zur Beifahrertür des Klassikers: “Guten Abend. Einmal Zeitreise bitte. Zeitreise nach Westberlin. Den Ku’ Damm ‘rauf und runter…” Elegante Heckflossen, ein mächtiger Kühlergrill, Säulentacho, Lenkradschaltung, rote Polster und weiße Häkeldeckchen beschwören Stil und Geist der 1960er Jahre. Ich nehme Platz auf den weichen Polstern. Was für eine Rundumsicht! Auf einem Schildchen auf der Armaturentafel ist in Handschrift und mit liebenswertem Schreibfehler zu lesen: „Du fährst im ältestem Taxi Berlins.“ – was wohl mittlerweile nicht mehr ganz so richtig ist, seit es seit ein paar Jahren einen trapezförmigen 1963er Peugeot-Oldie im Berliner Droschkenbetrieb gibt. Über eine Million Kilometer hat Nepomuk jetzt runter. Seine Gebrauchsspuren verleihen ihm eine besondere Ästhetik und machen ihn erst richtig schön – ‘automobile Patina’ heißt das neudeutsch. Zum Taxi wurde die Heckflosse erst 1990 umgebaut und in RAL 1015 umlackiert. Unter der Motorhaube nagelt ein Austauschherz aus einem 123er.

Die Fahrt geht über den Nollendorfplatz, über die bekannte Shopping-Meile Tauentzienstraße am KaDeWe vorbei zum Kurfürstendamm zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, dem östlichen Punkt des weltberühmten Boulevards, und weiter Richtung Rathenauplatz und dann zurück.

Ralf Werner erzählt. Viele berühmte Fahrgäste habe Nepomuk schon gesehen. Harald Juhnke oder Paul van Dyk seien mit ihm durch die Nacht gefahren. Für die meisten Kinder heute sei Nepomuk kein stolzer Mercedes, sondern einfach der “große Trabant”. Das kleine Ostauto mit seinen ebenso hohen kreisrunden röhrenförmig aus den Kotflügeln wachsenden Scheinwerfern und spitzen Flossen am Heck sei heute eben vielmehr im allgemeinen Bewusstsein als die W110er trotz ihrer imposanten Kühlermasken…

Zur Weihnachtszeit pflegen Ralf Werner und Nepomuk übrigens eine ganz besondere Tradition. Mit einer brennenden Kerze auf dem Instrumentenbrett sorgen sie für erstaunte – und bisweilen etwas um ihre Sicherheit besorgte – Fahrgäste und für besinnliche Stimmung.

Die Oldtimerdroschke fährt zuschlagsfrei zu den regulären Tarifen. Bei Fahrtende zeigt mir das Taxameter 16 Euro an: nicht viel für einen wunderbaren Ausflug in die Vergangenheit und für unvergessliche Streicheleinheiten für die Altautoseele.