Es frühlingt schon sehr. Noch wenige Tage. Dann darf der Wartburg wieder knattern. Große Vorfreu.de!!
Jede Menge Bilddateien der letzten Saison schlummerten in meiner Harddisk. Dazu nochmal der Text von unserem Beitrag in der Januar-Ausgabe des Abgefahren-Magazins, wo dem ahorngelben 353 W mehrere Seiten gewidmet wurden…
Entschleuniger mit Hamsterhaken
Reng-teng-teng. So klingt Motorsound ‚made in GDR’. Immer dem Zweitakt nach. Im Verein mit Freilauf und blauer Fahne, die unüberriechbar aus dem Auspuff weht. Normalwestler schrecken davor üblicherweise zurück. Wartburg? Das waren doch diese stinkenden und knatternden DDR-Limousinen, die die Patina von sozialistischer Mangelwirtschaft an sich hatten. Zu DDR-Zeiten die hochbegehrten etwas besseren Wagen für die besserverdienenden Genossen – eine Art ‚Premium Ost’. Keine Papp- oder Plastebomber, aber trotzdem irgendwie hoffnungslos vorgestrig und als Limousine spießbürgerlich bieder. Absolut uncool. Der besondere Kultstatus des Trabant, der es schaffte, direkt als Ikone und Symbolfahrzeug der Wendejahre ins kollektive nationale Geschichtsbewusstsein zu tuckern, blieb dem Wartburg vorenthalten.
Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen begleitet mich seit vergangenem Frühjahr 1985er eine Wartburg 353W Limousine. In ‚ahorngelb’ genannter blass-beiger Lackierung. Ohne jedwedes Chromgefunkel – dafür 80er-Jahre-zeitgeistig mit mattschwarzen plastpulverbeschichteten Anbauteilen. Natürlich ist es noch der Mittelkühler-Zweitakter – im Prinzip eine Vorkriegskonstruktion von Auto Union. Am Steuer des Wartburg fährt man auf sofaweichen – wunderbar wohnzimmerbraunen – Sitzen mit ledergenarbten Integralschaumkopfstützen fast automatisch in eine andere Welt. Eine Zeitmaschine mit RFT-Radio und Kugelboxen. Knallbunte Leuchtdioden tanzen in der Mäusedisco und informieren den Fahrer über Motortemperatur, Tankinhalt und Kraftstoffmomentanverbrauch. Die Lenkradschaltung ist tatsächlich eine feine Sache. Sie erlaubt einen freien Durchstieg und jede Menge Beifahrernähe. Die Vorwärtsgänge lassen sich spielend leicht schalten. Man hat die rechte Hand eigentlich immer am Lenkrad. Der in allen Gängen wirksame Freilauf bietet zudem noch die besondere Annehmlichkeit, dass abwärts ohne zu kuppeln geschaltet werden kann. Hinten am Wagen gibt es den obligatorischen Hamsterhaken, die Anhängerkupplung für Klaufix oder Klappfix. Das W in der Typbezeichnung steht übrigens für ‚Weiterentwicklung’ und bedeutet unter anderem den Serieneinsatz von Scheibenbremse und Drehstromlichtmaschine. Als mein Wartburg im Januar 1985 die ehrwürdigen Werkshallen des VEB Automobilwerk Eisenach – übrigens die automobile Wiege von BMW – verließ, hatte der künftige und stolze Erstbesitzer bereits – heute kaum vorstellbare – 15 Jahre Wartezeit hinter sich. Und das 1966 eingeführte Baumuster 353 war damals auch schon fast zwei Jahrzehnte alt. Um die 20000 Mark mussten bezahlt werden. Das durchschnittliche monatliche Einkommen lag bei ungefähr 800 Mark.
Ich bin ein Kind der alten Bundesrepublik ohne verwandtschaftlichen Bezug in die DDR. So war wohl meine erste Begegnung mit dem „im Volksmund gelegentlich Ostblock-Mercedes genannten“ Wartburg 353 auf Seite 54 im ‚Autokatalog 1985’. Starke und tiefe Eindrücke hinterließen dann natürlich die Bilder vom Herbst 1989, von Mauerfall und Grenzöffnungen. Neben den politischen Ereignissen galt mein Interesse damals besonders den für mich bis dahin weitgehend unbekannten und aus meinem Blickwinkel heraus auch reichlich skurrilen Ostautos. Und unter den meist barocken, chromdekorierten oder heckflossigen Formen, die die Städte und Straßen im Westen in großer Zahl eroberten, stachen die klaren, schnörkellosen und auf eine ganz eigene Art neuzeitlich wirkenden – obgleich nicht mehr taufrischen – Wartburg 353 unweigerlich heraus. Meine Sympathie für dieses Auto aus Eisenach wurde geweckt. Und der 353 hat sich ruckzuck einen Stellplatz in der Tiefgarage meines Herzens geschnappt.
Inmitten der 60er-Jahre war ein progressiver schlichter Entwurf ohne unnötige Dekoration im Bauhausgeist entstanden. Klare Kanten und Flächen oder die graphische Einheit von Frontlampen und Grill waren damals auch im Westen stilistische Avantgarde. Wäre es nach den Gestaltern um Hans Fleischer, der auch schon das Vorgängermodell 311 entworfen hatte, gegangen, hätte es das Baumuster 353 sogar nur als Kombi gegeben. Das aerodynamisch vorteilhafte Vollheck mit dem langen Dach und der steilen Abrisskante war das moderne Ideal, aber für die bestimmenden Genossen in Berlin viel zu progressiv. Für das sogenannte ’Auto bis hintenhin’ war die Zeit noch nicht reif. Das traditionellere Stufenheck musste sein. Richtig auffällig am 353 sind die breiten Fugen zwischen den einzelnen Karosserieteilen, insbesondere die horizontalen Spalte unter Motorhaube und Kofferraumdeckel, in welche man ganze Hände stecken kann. Angeschraubte Karosserieteile und eine kostengünstigere Fertigungstechnik erforderten die größere Fuge. Der Designer machte daraus eine Tugend. Es wird auf den damals modernen Plattenbau der DDR verwiesen und Fugenbild- und –rhythmus werden zum gestalterischen Thema des Entwurfs. Die absolute Antithese zu heutigem Streben nach Präzision und Wahn um schmale Fugen. Subtil modellierte Sichtkanten auf den Hauben machen auf Länge und akzentuieren gleichzeitig die Fahrzeugbreite.
Der 353 ist schlank. Klimaanlage, Servolenkung, elektrische Fensterheber – was moderne Autos fett und übergewichtig macht, fehlt. Zur heutigen automobilen Produktflut mit ständigen und inflationären Modellwechseln ist der Wartburg ein wunderbarer Gegenpol. Im Zeitalter der keil- und pfeilförmigen dynamischen muskelbepackten, breitschultrigen bedeutungsbeladenen Karosserieskulpturen mit dramatischen Licht- und Schattenspielen, aggressiven Lufteinlässen und überzogener Leuchtengestaltung wirkt der klare 353 wohltuend entspannt und gelassen. Ein automobiler Entschleuniger. Und das ist nicht nur auf den zweitaktenden 992 Kubik 3-Zylinder zu beziehen. Gar nicht so uncool.
Mehr Bilderreihen mit unserem Wabu findet ihr hier und hier und hier und hier und hier…
Sehr schöner Beitrag und tolle Bilder! Dieser Wagen hat neben dem beschriebenen Vorzug der schnörkellosen Karosserie noch einige weitere. Seit 1966 eingebaute Einparkhilfe: Vier klar definierte Ecken bei 1a Rundumsicht. Wartungsintervalle lt. Werk von 50.000 km! Das ist mir bei keinem anderen Auto bekannt. Des weiteren ist (bei etwas Geschick) mit dem Bordwerkzeug fast jede Reparatur möglich. Ich selbst hatte in den 90ern das Vergnügen am Straßenrand einen Antrieb zu wechseln, die Zylinderkopfdichtung (Teilepreis damals 15 DM) sowie einen Motorwechsel vorzunehmen. Dazu muss man allerdings gut gefrühstückt haben und sich etwas konzentrieren: Der Motor wiegt ohne Anbauteile und Kühlwasser so um die 78 kg. Das kann man grad noch so bewältigen und – man hat Platz in dem großen Motorraum mit dem kleinen Motörchen.
Da der Wartburg leider kein “Star” am Automobilen Himmel sein wird, bleibt er jedoch ein Insidertip mit seinen verborgenen Talenten.
Mal sehen, wann ich meinen 1972er Genex-Tourist aus seinem Dornröschenschlaf erwecke und wieder auf die Straße bringe, geadelt durch ein “H” an der letzten Kennzeichenstelle.
… dreizyinder